By the way 315 – unaufgeregte Headline ohne Uhrenmarke und Eigen- bzw. Vereinsnamen. Außer dem #VfB...
„Früher war mehr Lametta“, sagte oder schrieb man früher in den sozialen Netzwerken, vor allem bei Twitter. Heute muss Lametta Platz machen, denn die Hysterie drängelt nach vorne. Weil eine SPD-Staatssekretärin mit palästinensischen Wurzeln nicht einsieht oder schlicht nicht dran denkt bzw. vor vier Jahren irgendwann mal nicht dran gedacht hat, vor dem Fotoshooting ihre Uhr auszuziehen. Jetzt bläst ihr der Shitstorm um die Ohren – man glaubt es kaum und wundert sich. Andere tragen doch auch solche Uhren? Erschreckend die Art und Weise, wie nicht nur namenlose Trolle sondern auch Klarnamen ihren Hass ausschütten, was da an gleichermaßen strunzdummen wie strafverfolgungswürdig beleidigenden Kommentaren in alle Richtungen abgefeuert wird. Weil die Dame Sozialdemokratin ist? Weil sie keinen typisch deutschen Namen trägt, dafür aber eine teure Uhr? Weil sie eine Frau ist? Wobei, dem polarisierenden Siemens-Boss blies wegen einer Uhr derselben Marke auch mal ein Shitstorm um die Ohren – damals aber vor allem aufgrund der Tatsache, das ihm die Uhr nachweislich nachträglich wegretouchiert wurde.
Jetzt dem bösen Internet die Schuld für die ganze Aufregung zu geben ist auch nicht grade sinnvoll – denn der eigentlich Schuldige ist der Mensch. Und der hat jetzt nur eine Plattform, auf der er folgenlos seine Bosheit auskotzen kann. Was nicht ausschließen soll, dass es möglicherweise auch Menschen gibt, die von Geburt an gut sind oder zumindest irgendwann im Lauf der Jahre gut werden. Kinderstube Hilfsbegriff.
Dann die Bayern-PK. Natürlich schlechter Stil der Bosse, Wasser zu predigen und Wein zu trinken. Grundgesetz nur für den FC Bayern, nicht für seine Kritiker. Aber war das jemals anders? Ich erinnere mich daran, dass Uli Hoeneß früher, viel früher mal gezetert hat, dieser und jener Schiedsrichter würde nie wieder ein Bayern-Spiel pfeifen. Das haben zwar auch viele Leute kritisiert – aber hey, das öffentliche Leben stand nicht tagelang still deshalb. Obwohl Lothar Matthäus immer noch nicht Greenkeeper bei den Bayern geworden ist.
Unter den ganz Aufgeregten sind einmal mehr zahlreiche Medien, ganz egal welcher Gattung. Viel zu viele nehmen Ulis Stöckchen allzu gerne auf – und was früher kurz hoch kochte bis zum Topfrand, das kocht heute einfach über. Denn nicht nur Sex sells sondern auch der FC Bayern. Ein nüchterner Bericht und eine süffisante Glosse wie von Herrn Selldorf in der Süddeutschen hätten doch eigentlich völlig gereicht, oder? Danach unaufgeregt zur Tagesordnung übergehen – und wenn die Herren Hummels und Boateng von jüngeren, schnelleren Spielern überlaufen werden, dann nennen wir sie doch bitteschön in aller Unaufgeregtheit weiterhin Altherrenfußballer. Als ob daran etwas verwerflich wäre, bloß weil dem Uli mal wieder der Kragen platzt.
Was mich aber am Auftritt der beiden Bayern-Bosse vor allem stört ist, dass sie der ohnehin grassierenden und herumgaloppierenden Hysterie und Beschimpfungs- und Denunziationskultur vorsätzlich weiter einheizen. Wir die Guten, Ihr die Bösen. Wer das nicht ganz genauso sieht, der ist unser Feind. Sie tun das vor Millionen- bzw. Milliardenpublikum weltweit, sie bedienen sich der üblen Sitten und versuchen, Kapital daraus zu ziehen. Das gefällt mir nicht. Auch wenn das schon immer so war – Herr Hoeneß ist auch deswegen nur noch ein Ex-Visionär, weil er nicht begreift oder nicht wahrhaben will, dass heute, 2018, in Zeiten allgemeiner Aufregung eher der überfällige Umbruch in der Mannschaft Priorität haben sollte als die öffentliche Medienschelte. Mit leisen Tönen nach außen gehen, versöhnend wirken – das wäre visionär. Aber das schafft er leider nicht. Statt dessen macht er einfach das weiter, was er schon immer macht. Nur wahrscheinlich noch härter geworden durch den Aufenthalt in Landsberg. Zu seinem auffallend dunkelnasigen ostwestfälischen Neben- und Möchtegern-Weltmann Karl Heinz Rummenigge fällt mir nicht viel ein, nur dieses Zitat, das ich irgendeinem alten Harlem-Boxtrainer zuordne, und das da sinngemäß lautet: Du bekommst die Jungs zwar aus der Provinz raus, aber Du bekommst niemals die Provinz aus den Jungs raus.
Jetzt werden Sie möglicherweise sagen, dass auch ich Wasser predige und Wein trinke. Denn was braucht es jetzt auch noch meine Meinung zum Thema Bayern? Sie haben völlig recht, ich erschrecke über mich selbst. Aber soll ich das jetzt alles löschen und was ganz anderes schreiben? Obwohl ich nicht mal ein mickriges Zeilenhonorar dafür bekomme?
Tatsächlich wollte ich ja über die richtig großen Themen sinnieren – zum Beispiel meinen Text vom letzten Mittwoch. Da ging es um die wahren Absichten des Weltkonzerns Daimler, und was passiert? Zack, Gewinnwarnung. Oder, und jetzt schnallen Sie sich an, das Stuttgarter #Abfallgate. Die Affäre um den #Partymüll unseres Superfranzosen Benjamin Pavard, die den halben Killesberg seit Wochen und Monaten in hellste Aufregung versetzt. In dieser Angelegenheit erlege ich mir jedoch selbst Mäßigung auf, liebe Leserinnen und Leser. Denn der #Partymüll ist derart delikat, der würde das Internet sprengen. Vor allem das Schwäbische...