By the way 301 – Variationen von Angst...

Lassen Sie uns über Ängste sprechen. Denn als Anhänger des VfB Stuttgart ist die Angst allgegenwärtig, gleich eines immer währenden Elternabends der Mittelstufe an einer freien Waldorfschule.  

Jahrelange Angst vor dem Abstieg, immer größer und mit der Verpflichtung des Robin Dutt zur bitteren Gewissheit werdend. Eine vergleichsweise kurze Saison lang Angst, ob der Wiederaufstieg gelingt, der doch nichts anderes als die verdammte Pflicht sein sollte angesichts des Monsteretats für Zweitligaverhältnisse. Dann Angst vor dem sofortigen Wiederabstieg, kann der sympathische Trainer die launische Truppe auf Zug halten, oder geht es dahin? Natürlich Riesenangst, als es dahinzugehen schien. Aufgrund der allgemeinen Panik danach kurz Miniangst, ob Tayfun Korkut das Ruder würde rumreißen können.  

Zum Ende der grade abgelaufenen Saison eine interessante Variante: Die Angst vor der Qualifikation für die Europa League. Vor Überforderung in der kommenden Spielzeit, vor erneut peinlichem Abschneiden in der Gruppenphase, vor allem aber vor dem Durchgereichtwerden in der Bundesliga eingedenk des Reimes: „Klasse halten, das ist schwer, im Jahr drauf noch umso mehr.“ Eine geradezu schöne Angst, nichts „existenzielles“ wie der Klassenerhalt zunächst mal, quasi Luxusproblem, Vorgriff auf die Zukunft. Kann nahtlos übergehen in die Angst davor, dass Benjamin Pavard nach der WM woanders spielt, einhergehend mit der Angst vor einer lächerlich geringen Ablösesumme wegen Ausstiegsklausel oder dämlichen Verhandelns. In der minimal runtergestuften Variante mit Santiago Ascacibar anstelle von Benjamin Pavard. 

Nun mag man als Außenstehender all diese Ängste für maßlos übertrieben halten, ist ja nur Fußball, nur der VfB, und überhaupt, mit echten Ängsten hat das ja überhaupt nichts zu tun. Hat es tatsächlich nicht, zumindest nicht wirklich. Weil aber der Fußball wenigstens die wichtigste Nebensache aller Zeiten und Welten ist, weil – und jetzt These, ungeprüft - der Sport im Allgemeinen und der Fußball im Besonderen mittlerweile das mit Abstand wichtigste Ressort aller Medien aller Gattungen ist, deshalb sind die weiter oben angeführten „Außenstehenden“ wahrscheinlich eine so verschwindend kleine Gruppe, dass man sie angesichts des allgemeinen Wirrwarrs ohnehin vernachlässigen muss. Vergleichbar einer ganz ganz seltenen Krankheit, die so selten ist, dass kein Pharmariese weit und breit bereit wäre, für die Handvoll potentieller Kunden superteure Versuche und Studien an Mäusen und Menschen durchzuführen. Naja, oder so ähnlich halt.

Und als schon qua Wohnort der TSG von 1899 aus Hoffenheim zumindest ganz lose Verbundener frage ich mich, welche Ängste wohl die Fans dieses gut basisfinanzierten Ausbildungsvereins durchleben, wo ihnen der große FC Bayern nicht nur Rudy, Süle und Wagner weggekauft und Serge Gnabry nach kurzer Leihe zurückbeordert sondern angeblich auch noch Kevin Vogt zumindest den Kopf verdreht hat? Vogt, diesen lebenden Beweis dafür, dass es auch Bomben-Abwehrspieler gibt, die nicht in Jogi Löws erweitertem WM-Kader stehen.  

Es ist mir ohnehin ein wenig arg kurz gekommen, dass die Hoffenheimer in den vergangenen zwei Jahren ziemlich Großes geleistet haben in der Bundesliga. Eben trotzdem ihnen alle möglichen Mega-Leistungsträger weggekauft wurden. Kein großes Gejammer war zu hören, und dann Doppelbelastung, und jetzt wieder Champions League. Für die sich letztjährig zu qualifizieren man hätte den FC Liverpool ausschalten müssen, der jetzt im Endspiel steht und gegen den man durchaus nicht schlechter aussah als beispielsweise die Roma im Halbfinale. Und nach dem Ausscheiden, ja, da hat Julian Nagelsmann gejammert. Aber nicht über die bösen Bayern oder sonstwen, sondern über seine eigene Mannschaft, weil sie es nicht so gut gemacht hatte wie geplant. Und dann hat man ihn des Größenwahns geziehen und der Arroganz, nie suche er den Fehler bei sich selbst. Das fand ich schon ein bisschen affig.  

Aber wahrscheinlich kaschieren manche Leute damit einfach ihre Angst. Davor, dass die TSG sie nächstes Jahr wieder überrollt, trotz Aderlass’. Oder vor sonstwas. Wir Anhänger des VfB Stuttgart beargwöhnen die aus Sinsheim natürlich auch deshalb, weil wir, und nicht die, die wahre Nummer Eins im Ländle zu sein beanspruchen. Und erschwerend kommt bei uns natürlich hinzu, dass wir zuzüglich der zahlreichen oben angeführten Ängste zumindest seit 2016 mit einer Ober-Angst zu kämpfen haben, quasi Damoklesschwert, die bzw das da lautet: Was plant der dunkle Dietrich als Nächstes? Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss mich nämlich der Angst davor widmen, dass wir bei der WM schon in der Gruppenphase, spätestens aber im Achtelfinale ausscheiden.