By the way 328 - der Fisch stinkt vom Kopf her, und der Kopf heißt Wolfgang Dietrich
Der VfB Stuttgart liegt in Schutt und Asche. Er befindet sich damit genau in dem Zustand, der angeblich eingetreten wäre, wenn die Mitglieder am 1. Juni 2017 nicht „Ja zum Erfolg“, sondern Nein zur Ausgliederung des Profifußballs gesagt hätten. Ohne das viele Geld von Ankerinvestor Daimler, so die Verantwortlichen damals sinngemäß, hätte man den Laden gleich zusperren können. Ausgliederung also alternativlos, wer dagegen ist, der ist gegen den Erfolg und damit mitverantwortlich für den Niedergang.
Dass eine Kampagne wie das „Ja zum Erfolg“ stilistisch keine Höchstnoten verdient - geschenkt. Dass sie aber einer Überrumpelung, wenn nicht gleich einer Erpressung der stimmberechtigten Vereinsmitglieder gleichkommt, darüber muss man nicht lange diskutieren. Sportlichen Erfolg als logische Konsequenz unternehmerischen Handelns darzustellen, ist unseriös und populistisch. Leichtfertig wäre allerdings auch die Behauptung, es läge allein an der Rechtsform, dass sich der VfB heute als teurer Trümmerhaufen präsentiert. Es ist ja auch nicht zu viel Geld reingekommen, um im Profifußball halbwegs erfolgreich zu sein.
Deshalb müssen wir noch ein wenig weiter zurück in der Zeit, um die wahren Gründe für den Niedergang des Vereins zu finden, der, Stand heute, noch immer Fünftplatzierter der ewigen Bundesligatabelle ist. Genauer gesagt: Wir müssen zurück zum 9. Oktober 2016, dem Tag, an dem ein Autokrat namens Wolfgang Dietrich zum Präsidenten des VfB Stuttgart gewählt wurde.
In Stuttgart, aber auch in der bundesweiten Öffentlichkeit, war Dietrich vielen als Sprecher des Bahnprojektes „Stuttgart 21“ bekannt, das als umstritten zu bezeichnen ein Euphemismus wäre. Seine Sprecherfunktion füllte Dietrich aggressiv und polarisierend aus, er war das umstrittene Gesicht eines umstrittenen Projekts. Auch im Sportrechtehandel war der heute 70-Jährige aktiv, hatte mit seinem Firmengeflecht Darlehen an zahlreiche deutsche Fußballvereine gegeben, sogar an Konkurrenten des VfB Stuttgart. Seine Ämter in diesen Firmen ließ Dietrich jedoch ruhen und übertrug die Verantwortung formal auf seinen Sohn.
Als Präsident des VfB Stuttgart hatte er sich nun die Rolle der eierlegenden Wollmilchsau zugeteilt: Einerseits wollte er mit der ihm eigenen Forschheit die unter den Anhängern heiß diskutierte Ausgliederung des Profifußballs möglichst rasch über die Bühne bringen, auf dass sich daraus quasi automatisch der sportliche Erfolg einstelle. Andererseits wollte er der „Präsident aller“ sein, die Anhängerschaft einen und dem „Verein dienen“. Dass außer ihm kein anderer Kandidat zur Wahl zugelassen war – auch das geschenkt. Dass er, obwohl einziger Kandidat, nur mit knapper Mehrheit gewählt wurde – vergessen. Dieser Mann war für den VfB so alternativlos wie das „Ja zum Erfolg“ ein Jahr später.
Endlich war ein Präsident gefunden, der stark und entschlossen schien, die alten Zöpfe abzuschneiden, in den Gremien ordentlich durchzufegen, frischen Wind rein zu bringen, Leistung einzufordern, den VfB zu der Größe zurückzuführen, die die Granden im Verein von jeher für sich beansprucht hatten. Leute wie Dieter Hundt, langjähriger VfB-Aufsichtsratsvorsitzender, Präsident der deutschen Arbeitgeber, Chef eines gut verdienenden Daimler-Zulieferers, oder wie sein Nachfolger als Aufsichtsratsvorsitzender, Joachim Schmidt, seines Zeichens Marketing-Chef bei Mercedes-Benz, oder wie Wilfried Porth, Daimler-Personalchef und seit 2014 Aufsichtsrat beim VfB.
Sie merken schon, viel Daimler hier am Start, und tatsächlich hat der Global Player mit dem Stern ein vitales Interesse daran, beim VfB den Daumen drauf zu halten. Schließlich liegt die Firmenzentrale gleich neben dem Stadion, nichts Schöneres gäbe es für die automobile Konkurrenz von VW, Hyundai, Toyota und Co, als das eigene Logo auf dem Stadion neben dem Daimler-Hauptquartier leuchten zu sehen.
Nur logisch deshalb, dass dem Daimler der Dietrich willkommen war – als schmerzfreier Ausgliederer, der dem Autobauer nicht nur elf Prozent der Anteile an der VfB-AG, sondern darüber hinaus auch garantierten Einfluss auf alle weiteren Investoren-Entscheidungen sichern würde. Ein für alle Mal sollte die Möglichkeit vom Tisch sein, die freche Konkurrenz direkt neben dem eigenen Haus dulden zu müssen.
Was die Herren aus Untertürkheim nicht berücksichtigt hatten, war die Tatsache, dass der Unternehmer Dietrich den VfB keineswegs vereinen, sondern noch deutlich weiter spalten würde, den Klub systematisch zu noch tieferen Tiefpunkten führen würde, dass er die unseligen Zeiten eines Präsidenten Gerd Mäuser oder eines Sportchefs Robin Dutt noch überbieten würde.
Es begann noch am Tag seiner Wahl mit der Beleidigung eines kritischen Mitglieds, es setzte sich fort mit der Entlassung des geschätzten Sportvorstandes Jan Schindelmeiser, dem wenig später der ebenfalls sehr beliebte Trainer Hannes Wolf folgen sollte. Diese beiden hatten mit dem VfB einen Weg einschlagen wollen, der so ganz anders war als jener der vergangenen Jahre, und der doch genau das verkörperte, was bis dahin immer noch als die DNA des Vereins gegolten hatte, als die Philosophie, der alle Entscheidungen unterzuordnen waren: die jungen Wilden. Die weltweit gerühmte Nachwuchsarbeit. Mit jungen Leuten attraktiven Fußball spielen. Ganz so wie nach dem letzten Aufstieg in die erste Liga 1978 mit Trainer Jürgen Sundermann, Hansi Müller, Karlheinz Förster und Co, ganz so wie Timo Hildebrand, Kevin Kuranyi, Mario Gomez und Co unter Trainer Felix Magath 2003, sinnbildlich verkörpert durch den rauschenden 2:1 Sieg in der Champions League gegen Manchester United – der Fan kriegt heute noch eine Gänsehaut, wenn er daran denkt.
Natürlich waren auch Jan Schindelmeiser und Hannes Wolf nicht fehlerfrei, ganz fürchterliche Spiele lieferte der VfB in der zweiten Liga ab – doch eine Idee war erkennbar, immer deutlicher gedieh das zarte Pflänzchen, immer selbstbewusster wurden seine Protagonisten. Für Präsident Dietrich zu selbstbewusst. Schindelmeiser wurde ersetzt durch Michael Reschke, eine Art Betaversion des Präsidenten, grau, nassforsch, herrisch im Auftreten, und mit Dietrich komplett auf einer Linie. Im Rahmen einer Robin-Hood-Verfilmung wäre Dietrich wahrscheinlich der Sheriff von Nottingham, und Reschke sein Handlanger Guy von Gisborne. Zwei, die alles besser wissen, die keinen Widerspruch, keinen kritischen Kopf neben sich dulden.
Michael Reschke, vom FC Bayern mit tatkräftiger Unterstützung von Dieter Hoeneß, einem guten Freund Dietrichs, nach Stuttgart abgeschoben, hatte als zuarbeitender Kaderplaner zwar einen weithin guten Ruf in der Branche – aber in verantwortlicher Position als Sportvorstand war er von Anfang an eine Fehlbesetzung. Katastrophal zusammengestellter Kader, zahlreiche Bestverdiener mit langfristigen Verträgen, nichtexistente Integration junger Neuzugänge, dazu eine miserable Öffentlichkeitsarbeit, schlimmer geht’s nimmer, 50 Millionen Euro vernichtet.
Erschwerend kommt hinzu: Wenn schon der allmächtige Präsident und Aufsichtsratschef ein kalter grauer Herr ist, dann sollte der Sportvorstand ein Gegenpol sein, positive Energie verbreiten, mit dem Trainer auf einer Wellenlänge liegen, mit dem er auf Augenhöhe und im steten Einklang mit der Philosophie des Klubs diskutieren kann. Mit Wolf lag Reschke nie auf einer Wellenlänge. Folgerichtig musste Wolf gehen. Tayfun Korkut übernahm und hatte zunächst Erfolg, dann aber auch bald andere Ansichten darüber, wie mit der Mannschaft zu spielen sei. Also folgte auf Korkut Trainer Markus Weinzierl, ein weiterer grauer Herr, zumindest im Geiste. Weinzierl war damit der Handlanger des Guy von Gisborne und letztes Mosaiksteinchen in einer Riege von Männern, die negative Energie ausstrahlen.
Zwischenfazit: Ein grauer Präsident holt einen grauen Sportvorstand, der einen grauen Trainer holt. Drei graue Herren, drei graue Wolken – da kommt keine Sonne durch, kein einziger wärmender Strahl, da wird es kalt in Cannstatt.
Wer sich jetzt immer noch wundert, wie es dazu kommen konnte, dass der ruhmreiche VfB Stuttgart, beheimatet in der wohl reichsten Metropolregion aller Zeiten und Welten, in der Bundesliga eine derart jämmerliche Figur abgeben kann, dem sei gesagt: Wenn graue Männer regieren, die schlechte Stimmung verbreiten und keine kritischen Stimmen zulassen, dann herrscht im Verein eine Atmosphäre der Angst und Missgunst, die auch vor der Mannschaft nicht haltmacht und sich am Ende im Versagen auf dem Platz widerspiegelt. Verantwortlich für die Stimmung ist vor allen anderen der Präsident und Aufsichtsratsvorsitzende, der geradezu vorsätzlich Leute in verantwortliche Positionen holt, die ebenso schlechte Stimmung verbreiten wie er selbst. Und damit liefert Dietrich den Beweis für die Richtigkeit der Binsenweisheit, wonach der Fisch vom Kopf her stinke.
Aber wer Dietrich wählt, der bekommt Dietrich. Und muss jetzt mit Dietrich leben. Mit dem Dietrich, der erst den Bahnhof versenkt, und dann den VfB. Der nicht vereint, sondern jeden rausschmeißt, der ihm nicht passt, und der damit das „Vereint sein“ auch jenseits jeder Ausgliederung auflöst. Der sich seelenruhig mit dem Anwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel, der auch AfD-Personal vertritt, beim Mittagessen ablichten lässt, um dann via Verein zu verlautbaren, dass man Sport und Politik trennen müsse. Der damit ausgerechnet die Parole wiederholt, unter deren Deckmantel ultrarechte Parteien seit Jahrzehnten in Fanblocks ihren Nachwuchs rekrutieren. Der nur und ausschließlich eine sportliche Agenda hat, obwohl ein Traditionsverein wie der VfB eigentlich auch gesellschaftliche Funktionen erfüllen und sichtbar für Werte stehen sollte. Der seinen Sportvorstand Reschke ungestraft die Wahrheitsbeugung als normale Umgangsform beim VfB etablieren ließ, und damit auch alle Werte mehrere Etagen unter die bisher gültigen legte.
Das alles bedeutet nicht den Untergang des Abendlandes. Man sollte einfach nicht vergessen, dass, wer Dietrich gewählt hat, diesen auch wieder abwählen kann. Zumindest theoretisch ist das laut Satzung möglich. Also ist noch Hoffnung. Darauf, dass sich andere finden, den VfB wieder auf Kurs zu bringen. Kluge Menschen, die eine positive Atmosphäre schaffen und dem Club wieder eine Richtung geben können, nach der langfristig gehandelt wird. Dass die grauen Herren in den Gremien zurücktreten und den Weg für einen Neuanfang frei machen.
Herr Dietrich, mit der Abberufung von Michael Reschke haben Sie den ersten kleinen Schritt gemacht. Thomas Hitzlsperger als sein Nachfolger ist der nächste Berufsanfänger auf dieser Position. Er ist ein netter Kerl. Machen Sie den nächsten, den größeren Schritt, und treten Sie zurück. Das wäre ein wirklicher Dienst am VfB Stuttgart.