By the way 342 - der "Raus!"-Präsident
In den Zeiten, in denen der öffentliche Diskurs von der Frage bestimmt ist, ob man ertrinkende Menschen retten darf oder nicht, ist Fußball eine Nebensache. Und ein Zweitliga-Klepperlesverein wie der VfB Stuttgart allemal. Allerdings hat dieser Klepperlesverein knapp 70 000 Mitglieder, und während der Saison pilgern 14-tägig mehr als 50 000 Menschen ins Neckarstadion, das mittlerweile Mercedes-Benz-Arena heißt. Außerdem sind Zeitungen und Social Media voll mit Berichten rund um diese Versammlung, so dass man – Nebensache hin, Nebensache her - von einem gewissen öffentlichen Interesse sprechen kann.
Solche Zusammenkünfte bei Fußballklubs sind im allgemeinen keine vergnügungssteuerpflichtigen Veranstaltungen. In möglichst kryptisch formulierten Tagesordnungen versucht der Verein, seine Mitglieder zur Unterstützung seiner Pläne und Vorhaben zu gewinnen. Gewiefte Anwälte formulieren und orchestrieren das „Event“ und ziehen dabei alle Register der Vereinsmeierei.
Beim VfB Stuttgart sieht das für gewöhnlich so aus: In den Tagen vor der Versammlung tischt der Verein seinen Mitgliedern über die eigenen Kanäle nahezu im Stundentakt Halbwahrheiten auf, konstruiert angeblich bedrohliche Szenarien und versucht, kritische Stimmen zu verunglimpfen. Vergleichbar sind diese Aktionen mit den Wahlkampfpraktiken politischer Parteien.
Dafür braucht man die nötige PR-Professionalität – die Dietrich nicht hat. Dazu ist er zu impulsiv und zu dünnhäutig. Dafür gibt es Miriam Schimmele von der Pforzheimer CDU, seine ehemalige Mitarbeiterin bei Stuttgart 21, zuvor persönliche Referentin des ehemaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus. Weiter zur Seite stehen dem 70-Jährigen, neben externen Dienstleistern, der VfB-Kommunikationschef Oliver Schraft, der stets etwas linkisch wirkt. Bei der Veranstaltung selbst sind dann die vorderen Reihen mit „Mitmachern“ besetzt – altgedienten Vereinsmitgliedern, Abteilungsleitern, Günstlingen, die in ihrer Gesamtheit quasi als Jubelperser fungieren und schon rein zahlenmäßig verhindern, dass es bei wichtigen Abstimmungen zu unliebsamen Ergebnissen kommt.
„Unliebsam“ hieße aktuell vor allem eine Abwahl des amtierenden Präsidenten. Eine solche Option war ursprünglich gar nicht vorgesehen als Tagesordnungspunkt, denn die Amtszeit des 2016 gekürten Präsidenten endet erst 2020. Aber immerhin 65 VfB-Mitglieder hatten frist- und formgerecht einen entsprechenden Antrag auf Abwahl gestellt, weswegen der Verein sich entschloss, die Anträge gebündelt als ergänzenden Punkt in die Tagesordnung mit aufzunehmen.
Da hat sich viel angesammelt, was der Opposition sauer aufgestoßen ist. Dietrichs Maultaschenessen auf dem VfB-Vereinsgelände, mit einem Menschenschlag, der dem rechten Rand als Anwalt dient. Seine Quattrex-Connection, die für seine Freunde selbstverständlich blitzsauber ist. Alles juristisch in Ordnung, wenn Dietrich senior jahrelang, auch während seiner Amtszeit, maßgebliche Anteile an einem Unternehmen hält, das über zwei Ecken Millionen von Euro aus einem Darlehen an den FC Union Berlin verdient, weil eben dieser FC Union Berlin den VfB Stuttgart im Relegationsduell besiegt, in die zweite Liga geschickt hat und selbst in die erste Liga aufgestiegen ist.
Vielen VfB-Mitgliedern erscheint dieser Umstand jedoch überhaupt nicht blitzsauber, sondern moralisch verwerflich. Sie wollen ihn los werden, weil er seit dem ersten Tag im Amt des Präsidenten die Wahrheit beugt, nur das zugibt, was offensichtlich ist. Sie wollen ihn los werden, weil er den VfB Stuttgart in die zweite Liga geführt, dabei unbotmäßig ins Tagesgeschäft eingegriffen und alle seinem Willen widersprechenden Meinungen niedergebügelt hat. Sie wollen ihn los werden, weil er behauptet, der „Präsident aller Mitglieder“ sein zu wollen, aber jeden beschimpft, der nicht seiner Meinung ist.
Aber vielleicht lebt Dietrich auch in seiner eigenen Welt, ungetrübt von der Wirklichkeit auf dem Wasen? Noch immer redet er von „hervorragenden Rahmenbedingungen“ beim VfB Stuttgart, ganz so, als ob das Anlegen eines neuen Kunstrasenplatzes die Ausgliederung wert gewesen wäre. Als ob dem VfB Stuttgart durch seine eklatanten Fehlentscheidungen, durch sein selbstherrliches Eingreifen in fast alle Bereiche des sportlichen Tagesgeschäfts nicht 50 bis 100 Millionen Euro verloren gegangen wären. Als ob der Klepperlesverein in der Champions League spielte, die Gruppenphase bereits ohne Punktverlust überstanden hätte. Als ob der ehemalige und beliebte Sportvorstand Jan Schindelmeiser nach einstimmigen Entscheidungen aller zuständigen Gremien entlassen worden wäre.
Verschiedentlich wurde bereits darauf hingewiesen: Wolfgang Dietrich bekleidet sein Amt rechtmäßig, weil 57,2 Prozent der anwesenden Mitglieder für ihn gestimmt hatten. Weil der VfB bei dieser Veranstaltung eben seine Vereinsmeierei erfolgreicher betrieben hat als die Opposition. Da war doch was mit den Kälbern und dem Metzger.
Man sollte aber nicht vergessen, dass nach der rechtmäßigen Wahl auch eine rechtmäßige Abwahl erfolgen kann. Dass man nicht resignieren muss. Dass man sich von den Drohszenarien der Vereinsführung nicht einschüchtern lassen muss, denen zufolge eine Abwahl des Präsidenten den gesamten Verein in Verzweiflung, Not und Elend stürzte.
Man darf gespannt sein, wie die Mitgliederversammlung des VfB Stuttgart am Sonntag verläuft. Es wird emotional werden, es wird hitzig werden, es wird unschöne Szenen geben. Aber: Wenn der Druck auf Dietrich nicht größer wird, dürfte keine Dreiviertelmehrheit für eine Abwahl zustande kommen.
Deshalb wird der VfB wohl auch weiterhin von einem Präsidenten geführt werden, der so gar nicht präsidial agiert. Der so gar nicht positiv nach innen und moderat nach außen wirkt. Der den Verein nicht vereint, sondern spaltet. Der als Aufsichtsratsvorsitzender nicht beaufsichtigt, sondern nach Gutsherrenart Tagesgeschäft betreibt. Der die Quattrex-Connection nicht aufklären will. Unter dessen Verantwortung der VfB Stuttgart nun schon zum zweiten Mal in nur drei Jahren abgestiegen ist, mit allen finanziellen Konsequenzen. Der an seinem Stuhl klebt, als habe nicht Daimler, sondern Gott himself ihn dahingesetzt. Der bis heute nicht willens ist, einen Vorstandsvorsitzenden in der VfB AG zu installieren, weil der ihm ja reinreden könnte. Der den VfB zu einer bundesweiten Lachnummer und Skandalnudel gemacht hat. Dem Spiel für Spiel aus dem halben Stadion ein lautes „Dietrich raus“ entgegen gerufen wird. Und der im Verbund mit seinen Claqueuren den VfB Stuttgart zielgerichtet weiter nach unten führen und irgendwann dann doch gehen wird.
Empören wird das viel zu wenige Menschen. Ist ja nur Fußball, ist ja nur ein Klepperlesverein. Aber traurig ist es doch.