By the way 345 – Alarmstufe Schnatterer und viele Fragen, nur nicht in der Frage, wo das schwierige Umfeld zu verorten ist...
Das häufig bemühte schwierige Umfeld des VfB Stuttgart, seine von Vereins- und AG-Seite gerne auch mal als „Krakeeler“ oder „Ahnungslose Vollidioten“ bezeichneten Fans, haben zum Saisonauftakt der zweiten Zweitligasaison innerhalb dreier Jahre weder krakeelt noch sonstwie geartete Gewalttätigkeiten an unschuldigen kleinen Stadiongängern verübt. Obwohl der VfB und seine Zuarbeiter in den sozialen Netzwerken sich alle Mühe gegeben hatten, ein solches Bild von all denjenigen zu zeichnen, die die Vereinsführung und ihre Machenschaften zu kritisieren gewagt hatten.
Die Ränge gewohnt gut gefüllt, die kurvenseitige Unterstützung der Mannschaft gewohnt maximal, was für eine tolle Atmosphäre. Und was für ein erneut eklatanter Unterschied zwischen Realität und vereinsseitig verbreiteter Propaganda. Sogar den kleinen Awoudja haben die Fans nach Eigentor und unberechtigtem Platzverweis mit viel Liebe beschenkt, gleich als ob sie keine drogenabhängigen Vollrausch-Hooligans wären sondern eben genau die Leute, die die Mannschaft seit Jahren bedingungslos unterstützen. Hätte ich der Vereinspropaganda geglaubt – ich hätte meinen Augen nicht getraut. Das sollen die Fans sein, die kleinen Kindern ihre Schals wegnehmen und dem Vater Prügel androhen?
Die Mannschaft wurde unterstützt, obwohl die ersten 15-20 Minuten durchaus dazu angetan waren, Zweifel zu nähren. Kein Zugriff, kaum was nach vorne, dafür hinten fast drei kassiert. Kein Überfallfußball weit und breit, aber: Sie wollten. Sie hatten den Kopf oben. Sie waren voll dabei und zogen ihr Ding durch. Mit zwei Toren a la „Anti-Walter“, ein langer Ball, ein Standard, mit dem jederzeit quasi spürbaren Willen, des Trainers System umzusetzen. Und dann lief es. Dann war Didavi endlich der, der er in der ersten Liga nie war. Dann war Borna „Ruben“ Sosa endlich so cool und elegant, wie man ihn nach seltenem Aufblitzen seiner Fähigkeiten schon vor einem Jahr erhofft hatte. Dann fiel Mario Gomez nicht mehr in allen möglichen Statistiken ab sondern ließ sich nach hinten abfallen zwecks Balleroberung wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Und Maxime Awoudja ließ trotz unglücklichen Starts erkennen, dass wir zwar einigen Nervenkitzel aber durchaus auch viel Freude mit ihm haben werden, fast ein wenig eine Mischung aus Pablo Thiam und Toni Rüdiger meine Meinung.
Und jetzt bin ich schon ein wenig verunsichert. Denn es steht zu befürchten, dass uns halbwegs ordentlich sortierte Mannschaften durchaus weh tun werden in dieser Saison. Aber wie damit dann umgehen? Mit mal wieder dem dicksten Etat, dem teuersten Kader aller Zweitligazeiten und Welten, ist da der sofortige Wiederaufstieg nicht unsere verdammte Pflicht? Und alles, was diesen in Gefahr bringen könnte, gehört bereits im Ansatz abgestellt? Oder ist es vielmehr viel wichtiger, eine Spielphilosophie zu erkennen, die man weiter stabilisieren und, frei nach Rainer Adrion, nicht nur in den Köpfen der gerade sportlich Verantwortlichen sondern im gesamten VfB Stuttgart fest verankern muss, auch wenn das den kurzfristigen sportlichen Erfolg ins Wanken bringt? Sind unsere sportlichen Leiter erfahren genug, auch magere Zeiten durchzuhalten? Kommen mir nicht selbst immer wieder Zweifel, ob das alles der richtige Weg ist?
Fragen über Fragen – und es wird spannend sein zu sehen, wie der VfB in Heidenheim (Alarmstufe Schnatterer) und in den folgenden Spielen auftritt, wie er mit frühen Rückständen umgeht, wie mit Niederlagen. Und wie das ist, wenn Trainer Tim Walter nicht mehr ununterbrochen Kommandos reinschreien kann, weil er nämlich aphon ist wegen zu viel Geschreis.
Keinerlei Unsicherheiten dagegen in der Frage, wo das schwierige Umfeld zu verorten ist. Nämlich keineswegs in der Kurve sondern auf der Haupttribüne, Mitte, oberer Unterrang. Da wo die hohen Herren sitzen, die bereits den zweiten Abstieg innerhalb dreier Jahre zu verantworten haben. Die für sich in Anspruch nehmen, das Schiff auch durch schwierige Gewässer steuern zu können. Die jetzt schon wieder darauf bedacht sind, möglichst niemanden von außerhalb in ihren Inner Circle eindringen zu lassen. Die den unsäglichen Präsidenten geopfert haben, um die Seilschaft zu retten.
Aufsichtsräte, Vorstände, Direktoren, Beiräte, nicht alle, aber viele von Euch haben bis heute nicht verstanden, dass es weit größerer Veränderungen bedarf, als den einen loszuwerden um dann ungestört so weiterzumachen wie bisher. Dass Ihr wesentlicher Teil des Problems seid. Dass Ihr den Weg freimachen müsst für andere, die es hoffentlich besser machen, weniger selbstgefällig, mehr den Verein/die AG im Blick als das eigene Ego.
Bis zum 15. September läuft die offizielle Bewerbungsfrist für das Amt des VfB-Präsidenten. Und wir können beobachten, wie die Kandidaten für alle möglichen Ämter vorturnen, sich in Position bringen – und wie die Gremien des VfB sich im Rahmen dieses Vorturnens verhalten. Ob sie einen eigenen Seilschaft-Kandidaten in Stellung bringen und dann noch einen anderen, schwachen, als Alibi-Alternative. Ob Wilfried Porth Jürgen Klinsmann als Vorstandsvorsitzenden installieren und damit zwar den Aufsichtsrat entmachten, seinen eigenen Posten aber skandalöser Weise erneut retten wird? Ob Klinsmann ähnlich erfolgreich durchkehren können wird wie einst beim DFB, auch wenn er diesmal keinen Gerhard Mayer-Vorfelder als Offense Line vor, neben und hinter sich hat? Ob die breitbärtigen Social Media-Seiten, die angeblich nur den VfB im Fokus haben, einen Jürgen Klinsmann genauso unterstützen wie den unwürdigen Ex-Präsidenten, und ob ein Schelm ist, wer Böses dabei denkt? Ob Jürgen Klinsmann sogar mit Thomas Berthold und Guido Buchwald als Weltmeister-Trio antreten und alle anderen Kandidaten damit geradewegs überfahren wird? Ob Thomas Hitzlsperger neuer Vorstandsvorsitzender wird und Sven Mislintat neuer Sportvorstand, bloß keinen von außerhalb, Sie verstehen... Wie das läuft mit der Ehrenamtlichkeit des Präsidenten, mit der Positionierung neuer Aufsichtsräte und Vorstände. Und wie der sportliche Erfolg oder Misserfolg sich auf Funktionärsebene auswirken wird und andersrum.
Spannende Zeiten weiterhin, einige positive Signale, trotzdem noch viel Änderungsbedarf. Und Zeit für eine Sommerpause hier...