Kommentar zur VfB-Mitgliederversammlung

Zurück zu den Wurzeln

Der beste VfB Stuttgart aller Zeiten jagt seinen Präsidenten vom Hof

Dass die Mitgliederversammlung des VfB Stuttgart am 28. Juli für Claus Vogt ein schwerer Tag werden würde, darüber gab es im Vorfeld keine zwei Meinungen. Dass aber 86 Prozent der ca. 2.300 anwesenden stimmberechtigten Mitglieder den Präsidenten des mit 107.000 Mitgliedern größten Vereins Baden-Württembergs vorzeitig abwählen, ihn wie einen räudigen Hund vom Hof jagen würden, das kam dann doch überraschend.

Überraschend deswegen, weil der Verein so gut dasteht, wie noch nie. Rekordmitgliederzahl, finanziell gesund, in den ca. fünf Jahren von Vogts‘ Amtszeit stiegen sowohl die erste und die zweite Profifußballmannschaft der Herren (beide in die Aktiengesellschaft ausgegründet) auf wie auch die Fußballerinnen (Damenfußball hatte es vor Vogt nicht gegeben beim VfB). Ebendiese AG freut sich seit zwei Jahren über Investoren, um die den VfB quasi die ganze Welt beneidet. Mercedes und Porsche, Stuttgarter Weltmarken für den Stuttgarter Proficlub – was kann es besseres geben?

Rückblick: Vogts Vorgänger im Amt des Präsidenten war ein gewisser Wolfgang Dietrich. Er wurde nicht abgewählt sondern trat zurück. Mit lausigen 54 Prozent war er ins Amt gewählt worden, die Profis stiegen ab, stiegen sogar zweimal ab, auch die zweite Mannschaft stieg ab, Schulden, zweifelhafte Finanzlage, eine Stimmung zum Abgewöhnen. Ob die Mitglieder Dietrich jemals abgewählt hätten, ob jemals die dafür erforderlichen 75 Prozent Zustimmung erreicht worden wären – es darf bezweifelt werden. Auf der legendären Mitgliederversammlung, Spitzname „WLAN-Gate“, versagte die Abstimmungstechnik, am Ende trat Dietrich freiwillig ab, nicht ohne nachzutreten. Von Dietrichs Vor-Vorgänger Gerd E. Mäuser wollen wir hier gar nicht groß anfangen, die Älteren werden sich erinnern. Abgewählt, gar vorzeitig abgewählt, wurde auch ein Gerd Mäuser nicht.

Und jetzt was hat Vogt falsch gemacht, was hat dazu geführt, dass eine Mitgliedermeute ihn mit einem Eifer zur Strecke brachte, der an einen Gratismut-Lynchmob denken lässt?

Vor allem die organisierte Fanszene wirft Vogt vor, ein so genanntes Ausgliederungsversprechen gebrochen zu haben. Dieses besagt, den Vorsitz im Aufsichtsrat einer ausgegliederten Profifußball AG namens VfB Stuttgart habe garantiert immer der Präsident des Vereins VfB Stuttgart. Gegeben haben soll dieses Versprechen der seinerzeit nicht eben beliebte Wolfgang Dietrich, bzw. sein Vizepräsident Bernd Gaiser habe dieses auf einer Mitgliederveranstaltung mündlich geäußert. Bild- und Tonaufnahmen der Veranstaltung liegen vor – also kann man sagen: Es gab da dieses mündliche Versprechen, das freilich niemals in irgendeiner Form verschriftlicht und schon gleich dreimal nicht in irgendeiner Satzung verankert wurde.

Und als nun Porsche den Einstieg als Investor beim VfB beschlossen hatte, da wurde dem Präsidenten und Aufsichtsratschef Claus Vogt wenige Tage vor der geplanten Verkündung dieses „Weltmarkenbündnisses“ durch VfB-CEO Alex Wehrle beschieden, Porsche käme nur, wenn er, Vogt, als AR-Chef wie auch als Vereinspräsident zurücktrete. Und hier sei gleich auch schon eine Erklärung vorbereitet von einem Anwalt, genauer gesagt von Christoph Schickhardt, also nicht mal einem Anwalt von Porsche, haben die selbst keine? Diese Erklärung sollte Vogt unterschreiben, alle anderen Aufsichtsräte hätten auch schon. Unterschreibe er nicht, zöge Porsche zurück und der VfB rutsche direkt hinein ins finanzielle Desaster.

Was macht Vogt? Er unterschreibt, vermerkt aber schriftlich den Hinweis, dass zunächst die Mitglieder dazu befragt werden müssten. Alle anderen Aufsichtsräte inkl. der Präsidiumskollegen Riethmüller und Adrion unterschreiben ohne zusätzlichen Vermerk.

Dass die organisierte Fanszene sich in der Folge vor allem auf Vogt als Verräter kapriziert, auf den einzigen, der sich zumindest eingesetzt hat für die Rechte der Vereinsmitglieder, für das Ausgliederungsversprechen, das ist kaum nachvollziehbar. Aber es ist dies ein freies Land, man kann und darf als VfB-Mitglied den Präsidenten Vogt doof finden. Man darf sich auch von ihm schlecht vertreten fühlen, selbst in der Champions League. Muss man ihn aber deshalb vorzeitig vom Hof jagen, ohne überhaupt andere Präsidentschaftskandidaten zu kennen? Ihn nicht einmal seine Amtszeit regulär beenden lassen und 2025 einen anderen Präsidenten wählen? Hass und Häme über ihn ausgießen, als sei er ein schwerkrimineller Menschenverächter und frühstücke jeden Morgen einen halben lauwarmen Säugling?

Ich finde, das muss man nicht. Schon gleich dreimal nicht, wenn man weiß, welche Gestalten da im Hintergrund die Strippen ziehen. Wenn man weiß, wie die aktuelle Aufsichtsratsvorsitzende mit den AG-Vorständen Gehälter verhandelt. Wenn man weiß, dass der unsympathischste aller Boulevardjournalisten auf Einladung fröhlich in der Ehrenloge herumturnt, während Ex-Präsident Wahler beschieden wird, es sei schon voll, er müsse leider draußen bleiben. Und ich unterstelle den Leuten der organisierten Fanszene, dass sie all diese Dinge und noch einiges mehr sehr genau wissen. Dass sie sich aber trotzdem dermaßen haben einwickeln lassen von genau den Leuten, die am Porsche-Einstieg, so richtig und wichtig er war, am meisten persönlich profitieren, das verstehe ich nicht.

Claus Vogt war der Camarilla aus Automotive und schwäbischem Mittelstand, die seit Jahrzehnten den VfB „macht“, von Anfang an ein Dorn im Auge. Er war als erfolgreicher Facility-Familienunternehmer bestenfalls der belächelte „Fensterputzer aus Böblingen“. Und er hat Fehler gemacht, kein Zweifel auch hier. Zu wenig Hausmacht, unabgesprochene Äußerungen, das Ego nicht kleiner als im Branchendurchschnitt, und vielleicht hat er auch allzu oft um Gefallen gebeten, ohne hinterher Danke zu sagen. Dass sie ihn aber derart schäbig verjagt haben, Walk of Shame nix dagegen, das macht zwei Dinge deutlich:

Erstens: Ein Verein mit 107.000 Mitgliedern und Multimillionenbeteiligung am Profifußball kann nicht mehr geführt werden wie ein Kleintierzüchterverein. Vielleicht sollte man das mit der direkten Demokratie mal in Richtung einer repräsentativen Demokratie überdenken und die Mitglieder tatsächlich mehr als Fans sehen. Oder zumindest überlegen, wie eine größere Anzahl von Mitgliedern an einer Mitgliederversammlung teilhaben könnte. Da ist der VfB ja auch beileibe nicht alleine, fast alle großen so genannten Traditionsvereine kranken am selben Problem, nämlich dass ein Haufen würde- und wirbelloser Vereinsmitglieder auf dem Weg der basisdemokratischen Abstimmung immer wieder höchst zweifelhafte Gestalten in Ämter und Würden oder um dieselben bringt. Was könnten zB Schalke oder der HSV für Supermächte sein, wenn da nicht immer nur von schlechten Menschen aus niedersten Beweggründen herumgefuchst und hintertrieben würde. Da könnte doch tatsächlich mal ernsthafte Konkurrenz entstehen für die Bayern aus München und die Börsennotierten vom Borsigplatz. Professionalisierung tut ganz arg Not. Aber wahrscheinlich werden sie beim Porsche jetzt mithilfe der organisierten Fanszene eine Marionette ins Präsidentenamt heben und dem eine Menge Kohle hinterherwerfen, damit er die Klappe hält.

Zweitens: Die so genannten alten Seilschaften, die Repräsentanten einer Zeit des Misserfolgs beim VfB, die fast schon überwunden schien, sie sind alle wieder da. Längst sonnen sie sich wieder im Businessbereich, längst ziehen sie wieder die Strippen hinter den Kulissen. Fehlt eigentlich nur noch Thomas Hitzlsperger, aber dazu siehe erstens. Claus Vogt hat verloren, das Leben geht weiter. Und der VfB Stuttgart hat bekommen, was er verdient. Im Prinzip kommt er wieder zurück zu den Wurzeln: ein reaktionärer Drecksverein, der das macht, was die sagen, die den Wumms gerade bezahlen. Fuck you very much!